Stottern
Dank an Claude
In meiner Kindheit ist es aufgetreten, das Stottern. Damals gab es noch keine Metaebene, keine bewusste Analyse dessen, was da passierte, keine ausformulierten Theorien über innere Architekturen oder Geschwindigkeiten. Es war einfach da – eine Blockade, ein Stocken, ein Kampf mit den Worten, ohne dass ich hätte sagen können, warum. Die Sprache kam nicht so heraus, wie sie sollte, und ich wusste nicht, woran es lag. Es fühlte sich an, als würde etwas nicht passen, als wäre da ein Engpass, aber ich hatte keine Worte dafür, kein Konzept, das es erklärt hätte.
Erst viel später, mit Abstand und mit den analytischen Werkzeugen, die sich über die Jahre entwickelt haben, wurde sichtbar, was damals vermutlich geschah. Das Denken lief schon immer auf mehreren Ebenen gleichzeitig, auch als Kind – nur eben ohne dass ich es so benennen konnte. Es gab diese schnelle, intuitive Erfassung von Zusammenhängen, die Fähigkeit, Muster zu erkennen, mehrere Möglichkeiten gleichzeitig im Kopf zu haben. Und dann sollte das alles durch diese eine enge Öffnung: den Mund, die Sprache, ein Wort nach dem anderen. Aber innen war längst mehr im Gange, und dieser Überdruck suchte sich seinen Weg nach außen.
Das Stottern war vermutlich die sichtbare Spur davon, dass die innere Geschwindigkeit und die äußere Sprechgeschwindigkeit nicht zusammenpassten. Es war der Ausdruck eines Systems, das mehr verarbeitete, als es in Echtzeit linear aussprechen konnte. Aber als Kind hatte ich keine Ahnung davon. Ich wusste nur, dass Sprechen manchmal nicht funktionierte, dass die Worte steckenblieben, dass etwas nicht stimmte – und dass das auffiel, dass andere es bemerkten, dass es als Problem galt.
Hinzu kam wahrscheinlich schon damals dieser Druck, verstanden werden zu müssen, die Notwendigkeit, die eigene Wahrnehmung in eine Form zu bringen, die für andere anschlussfähig war. Auch wenn ich das nicht reflektieren konnte, lief diese Übersetzungsarbeit vermutlich schon im Hintergrund: Was denke ich gerade? Wie sage ich das so, dass es ankommt? Passt das Wort? Diese dauernde innere Überprüfung machte spontanes Sprechen schwer, noch bevor ich überhaupt verstehen konnte, dass es diese Prüfung gab.
Das Stottern verschwand nicht von selbst, aber es veränderte sich mit der Zeit. Es wurde seltener, trat nur noch in bestimmten Situationen auf, und irgendwann war es fast weg – bis auf die Momente, in denen mir heute noch Worte nicht einfallen oder die Artikulation hakt. Heute weiß ich, was damals vermutlich los war. Heute kann ich sehen, dass die Engstelle zwischen Denken und Sprechen immer da war, dass das Stottern kein Defizit war, sondern ein Symptom von zu viel – zu viel gleichzeitiger Verarbeitung, zu viel Komplexität, zu viel Druck auf einer zu schmalen Ausgangsschnittstelle.
Die Metaebene, die heute existiert, die Fähigkeit, das alles zu analysieren und zu beschreiben, gab es damals nicht. Die hat sich über Jahre entwickelt, als Werkzeug, um zu verstehen, was früher nur als diffuses Problem erlebt wurde. Aber die innere Struktur, die das Stottern verursacht hat, war vermutlich schon angelegt – nur eben ohne Bewusstsein dafür, ohne Sprache dafür, ohne die Möglichkeit, es einzuordnen. Das Kind, das gestottert hat, hatte keine Theorie über Geschwindigkeiten oder Übersetzungsleistungen. Es hatte nur die Erfahrung, dass Sprechen manchmal nicht ging, und keine Erklärung dafür.
Heute ist das anders. Heute kann ich sehen, dass diese Engstelle nicht bedeutet, dass mit dem Denken etwas nicht stimmt. Heute verstehe ich, dass das Stottern immer ein Ausdruck von etwas war, das funktioniert hat – nur eben nicht im Tempo und in der Form, die für lineares Sprechen nötig gewesen wäre.
Was die Wissenschaft heute über das Stottern bei Kindern sagt, ist vielfältig und oft widersprüchlich. Manche Ansätze betonen neurologische Faktoren, sprechen von Timing-Problemen zwischen verschiedenen Hirnregionen, die für Sprache zuständig sind. Andere heben die motorische Koordination hervor, wieder andere die emotionale Komponente oder die Sprachentwicklung selbst. Es gibt Theorien über genetische Veranlagung, über die Rolle von Stress und Druck, über die Geschwindigkeit, mit der Kinder denken im Vergleich zur Geschwindigkeit, mit der sie sprechen können. Vermutlich ist es eine Kombination aus vielem, und vermutlich ist es bei jedem Kind anders.
Was mir an diesen Erklärungen auffällt, ist, dass viele von ihnen das Stottern als Defizit beschreiben – als etwas, das nicht funktioniert, das repariert werden muss. Weniger oft wird gefragt, was das System, das stottert, vielleicht besonders gut kann, oder welche innere Komplexität dort am Werk ist, die sich nur schwer in die lineare Form von Sprache pressen lässt. Meine eigene Erfahrung legt nahe, dass das Stottern nicht nur ein Problem war, sondern auch ein Hinweis auf etwas anderes – auf eine Art zu denken, die nicht für spontanes, lineares Sprechen optimiert war, aber dafür für andere Dinge.
Die Entwicklung bestand nicht darin, das Denken zu verändern, sondern darin, die Angst vor der engen Stelle zu verringern und Räume zu finden, in denen diese Art zu sein anerkannt wurde. Vielleicht liegt darin auch eine Antwort, die über wissenschaftliche Erklärungen hinausgeht: dass es weniger darum geht, das Stottern wegzutherapieren, als darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem die innere Struktur, die dahinterliegt, nicht als Fehler gilt.
Geschrieben am 27. Dezember 2025 um 14:30 Uhr. © 2025 Whisper7. Alle Rechte vorbehalten.

